Der Lehrkräftemangel und die damit verbundene Gefahr der Verringerung der Unterrichtsqualität sind die größte Herausforderung für die Schulpolitik in NRW. In den letzten zwei Sitzungen des Ausschusses für Schule und Bildung haben wir über den aktuellen Stand der Konzepte und Maßnahmen gegen die Mangellage diskutiert.
Eine wichtige langfristige Säule in der Bekämpfung des Lehrkräftemangels besteht in der Ausbildung neuen Lehrpersonals. Daher begrüßen wir nach Gesprächen mit der Landesregierung die Initiative der RWTH Aachen, der Universität Siegen und der Bergischen Universität Wuppertal gemeinsam am Standort Aachen ab dem Wintersemester 2024/2025 80 Studienplätze für das Grundschullehramt einzurichten. Die RWTH wird von den Universitäten Wuppertal und Siegen in Form von Knowhow bei der Implementierung des Studiengangs unterstützt. Aufgabe des Landes ist dabei die Finanzierung der Studienplätze. Die entsprechenden Voraussetzungen wurden bereits im Haushalt für 2023 geschaffen.
Auch im Ruhrgebiet wird die Ausbildung neuer Lehrkräfte vorangetrieben und gleichzeitig an die Förderung fairer Bildungschancen geknüpft. Mit dem Lehramtsstipendium Ruhr sollen Lehramtsstudierende für Schulen im Ruhrgebiet gewonnen werden, welche sich in einer besonders herausfordernden Lage befinden. Das Projekt wurde von der RAG-Stiftung und der Wübben Stiftung Bildung gemeinsam mit dem NRW-Schulministerium und den Universitäten Duisburg-Essen, Bochum und Dortmund entwickelt. Mit dem Stipendienprogramm sollen in den Schuljahren 2024 und 2025 insgesamt 140 Bachelor-Studierende mit monatlich 300 Euro gefördert werden und zeitgleich systematisch für eine Tätigkeit an Schulen in herausfordernder Lage ausgebildet werden. Schon während des Studiums sollen sich die Stipendiatinnen und Stipendiaten als Lernhelferinnen und Lernhelfer an Schulen engagieren, die einen hohen Unterstützungsbedarf aufweisen. Die Auswahl der Schulen erfolgt auf der Grundlage des neuen Schulsozialindex.
Der hohe Unterstützungsbedarf für Schülerinnen und Schüler wurde auch in der Studie IQB-Bildungstrends 2022 herausgearbeitet. Im Rahmen der Studie wurden unter anderem Kinder im vierten Schuljahr auf die Basiskompetenzen Lesen, Zuhören, Orthografie und Mathematik hin geprüft. Die Ergebnisse sind alarmierend. Am schlechtesten steht es um die Orthografie: 32,6 Prozent der Kinder verfehlten den Mindeststandard, 39,6 Prozent erreichten den Regelstandard und nur 4,4 Prozent den Optimalstandard. In Mathematik verfehlten 28,1 Prozent den Mindeststandard, im Zuhören 23,3 Prozent und im Lesen 21,6 Prozent. Leider schnitt auch die Jahrgangsstufe neun nicht gut ab: 38,5 Prozent der Schülerinnen und Schüler erreichten den Mindeststandard im Lesen auf Deutsch nicht. Beim englischen Leseverstehen erreichten 27,7 Prozent den Mindeststandard nicht. Im Ausschuss waren wir uns einig, dass wir mit Hochdruck an einer Verbesserung der Basiskompetenzen arbeiten müssen.
Ministerin Feller hat dies zu ihrer Priorität erklärt und aufgezeigt, welche Maßnahmen sie bereits in den letzten Monaten ergriffen hat. Klar ist, dass es Zeit brauchen wird, um diese Basiskompetenzen aufzuarbeiten und zukünftig wieder besser da zu stehen. Offenkundig ist auch, dass die schlechten Ergebnisse nicht zuletzt durch die Pandemie und die damit verbunden Einschränkungen des Schulbetriebs bewirkt wurden.
Dazu kommt, dass der Anteil an Familien in NRW, in denen gar kein oder nur wenig Deutsch gesprochen wird, enorm gestiegen ist. Um dieser Herausforderung zu begegnen, beginnt im Schuljahr 2024/2025 das Startchancen Programm. Das Startchancen Programm zielt bundesweit auf mehr Chancengerechtigkeit und eine höhere Qualität des gesamtdeutschen Bildungssystems. Nach komplexen Verhandlungen zwischen den Ländern und dem Bundesbildungsministerium konnte das NRW-Schulministerium maßgeblich zu einer fair aufgeteilten Finanzierung und wasserdichten rechtlichen Voraussetzungen für das Programm beitragen. Ab dem kommenden Schuljahr sollen Schulen mit einem hohen Anteil sozioökonomisch benachteiligter Schülerinnen und Schüler eine besondere Förderung erhalten. Gefördert werden dabei die Basiskompetenzen Lesen, Schreiben, Mathematik und der sozial-emotionale Bereich. Das Startchancen Programm beläuft sich auf eine Dauer von zehn Jahren und umfasst drei Schwerpunkte: Ein Investitionsprogramm für eine zeitgemäße und förderliche Lernumgebung, ein Budget für bedürftige Schulen zur Investition in Unterrichtsentwicklung zur Stärkung der Basiskompetenzen sowie die Möglichkeit, mehr Personal einzustellen. In NRW könnten nach vorläufigen Berechnungen ca. 900 Schulen von dem Programm profitieren. Dies entspräche ca. 230.000 Schülerinnen und Schülern, davon 60 Prozent im Primarbereich und 40 Prozent an weiterführenden Schulen sowie Berufskollegs.
Ein weiteres Programm zur Ermöglichung fairer Bildungschancen sowie zur Verbesserung der personellen Situation an Schulen in NRW stellt das Handlungskonzept Unterrichtsversorgung dar. Das im Frühjahr 2023 angelaufene Konzept wurde nun von Ministerin Feller in Form eines Zwischenfazits erstmalig evaluiert. Das Konzept teilt sich auf maßgeblich vier Säulen auf. Eine dieser Säulen umfasst die gezielte Abordnung von Lehrkräften in besonders betroffene Schulen. Von dieser kurzfristigen Maßnahme profitieren vor allem die Grundschulen. Die insgesamt aktuell mit ganzer Stelle abgeordneten 3.412 Lehrkräfte werden dabei größtenteils von Gymnasien abgeordnet. Selbstverständlich kann diese Maßnahme keine Dauerlösung für den Lehrkräftemangel sein, jedoch werden Bedarfe auf diese Weise kurzfristig verringert, bis mehr Lehrkräfte ihre universitäre Ausbildung vollendet haben. Die zweite Säule des Konzeptes umfasst eine genauere Prüfung von Anträgen auf voraussetzungslose Teilzeit. Somit soll im Einzelfall geprüft werden, ob dienstliche Gründe wie beispielsweise drohender Unterrichtsausfall gegen eine Teilzeitbeschäftigung sprechen können. Davon ausgenommen sind Anträge auf familienpolitische Teilzeit. Ergänzt wird diese Maßnahme durch die Übernahme befristet eingestellter Lehrkräfte in eine Dauerbeschäftigung. Als Voraussetzung gilt dabei ein Bachelorabschluss oder ein vergleichbarer Hochschulabschluss. Die vierte Säule des Handlungskonzeptes bilden die Alltagshelferinnen und -helfer, die ab diesem Schuljahr zur Unterstützung des Lehrpersonals eingestellt wurden. Waren es zu Beginn dieses Schuljahres noch rund 400 Alltagshelfer, so wuchs die Anzahl nun auf 697.
Alle diese Maßnahmen zeigen bereits ihre Wirkung; auf langfristige Sicht steht uns trotzdem ein Kraftakt bevor. Ich bin sehr froh, dass Ministerin Feller so entschlossen und allumfänglich handelt, um die Probleme zeitnah zu beheben. Jetzt gilt es, Durchhaltevermögen zu beweisen.
Neben dem Lehrkräftemangel und der Unterrichtsqualität beschäftigte uns auch die Frage nach der Ferienbetreuung an Förderschulen. Zu diesem Zwecke wurden im Haushaltsjahr 2023 erstmalig 1,3 Millionen Euro für die Finanzierung der Ferienbetreuung in gebundenen Ganztagsförderschulen mit Förderschwerpunkten Körperliche und motorische Entwicklung und Geistige Entwicklung vermerkt. Diese Förderrichtlinie ist bis zum 31. Juli 2024 befristet. Eine Herausforderung stellt in dem Zusammenhang auch der ab 2026 aufwachsende Rechtsanspruch auf einen ganztägigen Betreuungsplatz für Kinder im Grundschulalter dar, da dieser Anspruch auch in den Ferien gilt. Um Lösungen, Konzepte, aber auch offene Fragen zu diesem Themenkomplex zu diskutieren, luden wir Expertinnen und Experten in den Landtag ein. Im Rahmen der Expertenanhörung nahmen sie Stellung und gaben uns sinnvolle Gedankenimpulse für die weitere Gestaltung dieses Bereiches.